Anreise
Ein verspäteter ICE bringt mich nach Frankfurt zu
meiner Boing 747. Dort steht der Flieger, mit dem gangway am Flughafenterminal
angedockt. Er nimmt so viel Kerosin auf, um mich gut zehn Stunden am Stück
nach Shanghai fliegen zu können. Es ist wie eine Schiene durch die
Luft, auf der wir immer weiter entlang fliegen....
... Nachts ist von draußen nicht viel mit zu bekommen.
Drinnen sind Massen von Menschen eingepfercht, zehn in einer Reihe, die
meisten davon Chinesen. Die wenigen Europäer darunter kommen mir
fremder in meinem Bild vor, das ich die nächste Zeit leben will.
Ich liege im schräggestellten Sessel, zwar unbequem aber doch mehr
als schlafend als mir vorkommt. Im Morgenlicht blinzelt irgendeine Wüste
durch die Flugzeugfensterchen. Stundenlang fliegen wir über diese
Mondlandschaft. Sie ist schön und ich muss herausfinden, wer diese
Öde ist. Die zivilisierten Regionen fangen an, sich mit Nebel zu
bedecken. Bis wir in Shanghai sind, ist alles eine milchig-weiße
Suppe, in der es keine Himmelsrichtungen mehr gibt: „perfectly no
weather“ würde ein britischer Radiomoderator dazu sagen. Es
ist die passende Szenerie, mit der man von einem Moloch, wie Shanghai
empfangen wird. Natürlich sind es Klischees, die ich im Kopf habe.
Ich bin hergekommen, um diese Klischees mit einer Realität abzugleichen,
mit dem Wunsch, dabei weder die Klischees zu verlieren, noch ein verklärtes
Bild der Realität zu bekommen. Ich nehme das Taxi, um zum ersten
Mal vom Flughafen aus jenem Shanghai näher zu kommen, dem viel diskutierten
Shanghai, dem deutschen Shanghai. Man sagt, man müsse nachmittags
schon einen neuen Stadtplan drucken, da der morgens gedruckte bereits
veraltet sei. Entlang der Autobahn verläuft die Transrapid-Strecke.
Mein Taxifahrer führt meiner Videokamera stolz große Wohnsilos
vor und hat keine Hemmungen meinem Weitwinkel eine Weite zuzumuten, die
der gar nicht fassen kann, so dass später im Film lediglich der gerade
Strich des Horizonts zu sehen sein wird. Kompakte Sehenswürdigkeit
ist rar und so bleiben meine Aufnahmen konzeptuelle euphorische Anfangsfilmerei.
In der Ferne ist einmal schemenhaft jener Turm erkennbar, der meine Postkarte
ziert und den man mit dem Alex in Berlin verwechseln kann. Da also ist
das Epizentrum der Stadt, wenn es das überhaupt gibt. Ich komme wieder,
heute muss ich mit meinen fünfundzwanzig Kilogramm Gepäck zum
Südbahnhof, um den Zug nach Hangzhou zu nehmen. Am Bahnhof angekommen,
lasse ich vertrauensvoll für zehn Yuan Trinkgeld meine Taschen über
die Brücken zum Bahnsteig tragen. Ich kaufe eine Fahrkarte nach Hangzhou,
wie ich schneller keine Fahrkarte von Stuttgart nach Ulm hätte kaufen
können, sitze erster Klasse im Zug, der keine zwei Minuten später
losfährt. Mich beeindruckt die Effektivität, mit der ich als
Neuling so schnell zu meinem Ziel komme. Natürlich macht Geld vieles
einfacher. Meinen Taxifahrer fand ich vertrauenswürdig und den Träger,
den er vermittelt hatte, dadurch auch. Und der Träger wusste, dass
mein Zug gleich fahren würde.... Da sitze ich nun auf einer Häkeldecke,
starre widerwillig auf die an der Decke angebrachten Bildschirme ins Musikfernsehen.
Lasse mir grünen und schwarzen Tee zusammen servieren. Nach dem zweiten
Mal auffüllen wird mir schlecht vor lauter Teegemisch - Ambition
ist gut aber braucht Maß. Ich lasse mir aufschreiben, wann mein
Zug in Hangzhou ist, nachdem ich verbal „15:25 Uhr“ trotz
meiner zwei Kurse Chinesisch nicht verstanden habe. Die Fahrt geht durch
eine flache Öde. Menschen in blauen Anzügen hackeln auf dem
Feld. Wilde Müllhalden breiten sich aus und schwelen manchmal vor
sich hin. Ich denke an meine Mutter, die angesichts der Landschaft den
Kopf schütteln würde und sicher nicht herkommen wollte. Und
schließlich Hangzhou, von dem man so tut als sei es mit seinen drei
Millionen Einwohnern eine Kleinstadt. Ich fahre ein in einen Spalier von
Hochhäusern, der die Skyline von Frankfurt alt aussehen lässt.
In einem Strom von Menschen quelle ich aus dem Zug auf den Bahnsteig,
lasse mich die Treppen hinunter spülen durch eine Unterführung
zu einer Absperrung, bei der man seine Fahrkarte zeigen muss, um hinaus
zu kommen. Bei den Taxis wird man abgefertigt. Endlos rauscht eine ganze
Armada von PKW an und wieder ab, In einen steigt man selbst hinein zu
einem Fahrer, der zum Schutz vor Angriffen in einer Plexiglaskabine steuert.
Mich weltmännisch fühlend werde ich für zehn Yuan, gleich
einem Euro, vor den Eingangstoren der Akademie abgeladen. Fälschlicherweise
werde ich weitergelotst in das Gebäude neun, kann dort aber mein
Gepäck stehen lassen und stelle mich im Office for Foreign Affairs
im Gebäude eins vor. Man hat mich nicht erwartet. Man ist höflich
und wird freundlich, als sich herausstellt, dass ich der Student aus Stuttgart
bin. Ich bin viel zu früh da. Der Studienbetrieb geht erst in einer
Woche los. So bin ich ein einzelner Zufrühkommer, was sich bald als
Vorteil erweist, da ich einen eigenen Ofen und Wasserspender mit integriertem
Kocher bekomme. Sicher kann nicht jeder, der hier ankommt Ofen und Wasserspender
kriegen und darf noch dazu die erste Nacht im akademieeigenen Hotel „International
Exchange Center Inn“ absteigen. Es wird wohl auch nicht jeder zum
Dinner in die Mensa eingeladen und zum Spaziergang an den mediterran anmutenden
See begleitet, den ich und Ma´i trotz stattlicher Größe
noch in derselben Nacht umrunden. So ergeht es mir an meinem ersten Tag
und ich bin mir einigermaßen sicher, dass ich all das auch verdient
habe. Vielleicht nicht ganz, weil mein Chinesisch wegen meiner Prioritätenverteilung
so schlecht ist, dass ich mich mit einigen Menschen hier überhaupt
nicht verständigen kann, was mir in der Form noch nie passiert ist.
Immerhin bin ich guten Willens das Lernen nachzuholen, gehe jetzt aber
trotzdem an den See und in die Stadt, statt im Lehrbuch nachzuschlagen,
was „gestern“ heißt. Dem singenden jungen Mann am See
konnte ich nicht erklären, dass ich „gestern“ mit dem
Flugzeug angekommen bin.
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